Geht Facebook unter?

Es wird immer wieder der Ruf laut, man müsse Facebook regulieren, in Schranken weisen, gar zerschlagen, um die schädlichen Einflüsse dieses sozialen Netzwerks auf die Gesellschaft und die dort verbreiteten „Fake News“ in den Griff zu bekommen.

Meinem Eindruck nach nimmt die Nutzung von Facebook aber so rapide ab, dass das Problem sich von selbst erledigen und Facebook einfach untergehen könnte.

Facebook selbst gibt zwar immer wieder Zahlen heraus die weiterhin ein deutliches Wachstum an aktiven Usern zeigen sollen, aber zur Menge der „MAU“ (Monthly Active Users) dürfte dabei auch jeder zählen, der eigentlich nichts mehr auf der Plattform macht, außer sich einmal die Woche einzuloggen und zu schauen, ob es irgendwas Neues gibt.

Weiterhin gehen Studien davon aus, dass Facebook in den USA seit 2017 gut 15 Millionen User verloren hat. Wenngleich also die globale Nutzung möglicherweise noch wächst, so verliert Facebook in seinem Heimatland und den Kernmärkten anscheinend rapide an Nutzern.

Ich glaube, dass Facebook ein ernsthaftes Problem und keine Lösung für selbiges hat und das dies ihr Geschäft in absehbarer Zeit ruinieren wird. Um diese These zu untermauern will ich im Folgenden ein paar Eindrücke und Fakten anführen.

Vorweg noch ein Punkt: Ich schreibe jetzt schon länger und immer wieder mal an diesem Artikel. Jede Woche kommt mindestens eine Neuigkeit, selten positiver Art, zu Facebook heraus. Dieser Beitrag ist also höchstens eine Momentaufnahme und jedem Leser sei empfohlen die aktuellen Technologienews mal etwas im Blick zu behalten und auf Beiträge zu Facebook zu achten und sich so selbst ein Bild zu machen.

1. Facebook gibt nichts mehr auf seine Außenwirkung

Mark Zuckerbergs Auftritt vor dem US-Kongress ist wohl legendär. Das Internet spottet darüber, dass „der Roboter Zuckerberg“ die Rolle als Mensch relativ schlecht ausgefüllt hätte. Aber auch sonst bekleckert man sich bei der eigenen Außenwirkung nicht sonderlich mit Ruhm.

Kinder können ohne jedes Hindernis in Spielen virtuelle Waren erwerben und damit vierstellige Dollar-Beträge von den Kreditkarten ihrer Eltern abbuchen lassen. Das geht, weil bei Facebook einmal für eine Transaktion eine Kreditkarte hinterlegt wurde und seitdem nicht mehr nach den Informationen dieser Karte gefragt wird. Die Verantwortung dafür wird auf die Eltern abgewälzt, Facebook weist alle Schuld von sich.

Dann hat Facebook Anfang des Jahres mit seiner „Research“-App von sich Reden gemacht. Jugendliche um die 13 bis 15 Jahre sind für die Installation und Nutzung dieser App monatlich bezahlt worden, angeblich um das Nutzerverhalten zu erforschen. Das ist eine sehr wohlwollende Definition des Zwecks, denn diese App hat allen Internetverkehr mitgeschnitten, so dass Zugriff auf jegliche übertragene Informationen inklusive Logindaten bestand. Gekrönt wurde das Ganze dadurch, dass Facebook dafür Signaturen bzw. Zertifikate nutzte, die Apple nur für Entwicklungszwecke freigegeben hatte.

Im Nachgang dieser Aktion äußerten sich dann Facebook-Mitarbeiter wenig diplomatisch und sahen die Geschehnisse nicht allzu eng. “Fuck ethics. Money is everything.“ soll zum Beispiel einer der Mitarbeiter verlautet haben lassen. Sicher nicht repräsentativ für alle Mitarbeiter, aber vielleicht doch ein Einblick in die Kultur eines Unternehmens, dass sich immer mehr der Kapitalisierung seiner Nutzerbasis verschreibt und sich von moralischen Standards zusehends weiter entfernt.

In Summe, und mit Blick auf vergangene Skandale, fällt es also langsam schwer, Facebook so etwas wie ein gutes Gewissen oder einen Sinn für verantwortungsvollen Umgang mit seiner Macht zu attestieren. Ohne Rücksicht auf Verluste verkauft man die Daten seiner Nutzer und rudert dann immer nur gerade soweit zurück, wie unbedingt nötig. Umfangreiche und nachhaltige Veränderungen? Fehlanzeige.

Dieses fragwürdige Verhalten des Konzerns hat dazu geführt, dass sich Ende März der Österreichische Rundfunk ORF genötigt sah, seine Präsenz auf Facebook deutlich zurückzuschrauben beziehungsweise komplett aufzugeben. Der ORF ließ in einer Stellungnahme verlauten, dass man die Hoffnung auf Besserung bei Facebook „angesichts der Entwicklungen der vergangenen Monate begraben“ kann.

Damit bezog man sich nicht nur auf die zweifelhafte Handhabung der Löschung von rechtswidrigen Inhalten, sondern auch darauf, dass Reichweite organisch kaum noch zu erreichen ist und das Netzwerk voll auf eine Monetarisierung von Seitenbetreibern setzt. Siehe dazu auch den gleich folgenden Punkt 3 dieses Artikels.

2. Es gibt keine Innovationen mehr

Facebook kauft zwar munter Firmen auf, aber davon sieht man in der Praxis wenig bis gar nichts. Nach der Übernahme von Instagram in 2012 wurde dessen „Story“-Feature, kurzlebige Beiträge die nur 24 Stunden sichtbar sind, in das Facebook Feature-Set übernommen, aber das ist auch die letzte große Änderung, die für die Nutzer sichtbar war.

Darüber hinaus fühlt sich das soziale Netzwerk an wie in 2011. Wirklich praktische Features? Keine. Oder sie sind so unscheinbar, dass man sich einfach nicht fragt, wie man nur ohne sie auskam.

Stattdessen immer mehr Lock-In und Gängelung durch Facebook: Zwei getrennte Apps, beide riesig im Verhältnis zur Funktionalität. Und wer die mobile Webseite nutzt, kann keine Nachrichten lesen, sondern muss dafür auch den Messenger installieren. Auch das nicht gerade ein Pluspunkt in Zeiten in denen sogar wenig technikaffine Nutzer sich wundern, warum man immer für alles noch eine App installieren solle, wenn man das Ganze doch sonst auch prima über den Browser benutzen kann...

Zufällig schon einmal etwas von Facebook „Portal“ gehört? Nein? Kein Wunder, manch einer meint, es sei das “worst device of 2018“ oder es sei “dead on arrival“. Facebook Portal ist ein Smart-Speaker, so wie Google, Amazon und Apple bereits erfolgreich herausgebracht haben, nur mit einem Bildschirm samt Kamera dran. Damit ist Videotelefonie möglich, die Kamera folgt einem dabei aber sogar, wenn man durch den Raum läuft.

Sogar sonst wenig besorgte Menschen haben Angst davor, dass Facebook sie damit ausspioniert. Facebook sah sich deshalb zu einem etwas überspezifischen Dementi genötigt und keiner glaubt ihnen wirklich, dass sie damit nicht doch irgendwie ihre Datenkrake weiter füttern.

Facebooks Einstieg in den Hardware-Markt ist also auch eher unglücklich gelaufen. Gut, da gibt es auf der anderen Seite noch Oculus mit seiner VR-Brille „Rift“, aber die waren schon gut aufgestellt, bevor sie von Facebook gekauft wurden. Zählt also nicht so richtig.

3. Die Algorithmen sind total kaputt

3.1 Aus Nutzersicht

Bekanntermaßen nutzt Facebook einige Algorithmen, die keiner genau kennt, um die Beiträge im Newsfeed nach „Relevanz“ für den User zu sortieren. Allgemein bekannt ist, dass die Anzahl der Interaktionen (Likes, Kommentare, Shares) und auch die „Viralität“ (wie schnell ein Beitrag Interaktionen erhält) eines Beitrags wichtige Kriterien für ein hohes Ranking im Newsfeed sind. Hoch gerankte Beiträge oder Seiten tauchen damit nicht nur im eigenen Newsfeed öfter auf, auch Freunden werden diese Beiträge häufiger im eigenen Newsfeed angezeigt und empfohlen.

Das macht sich mittlerweile jeder zunutze. Wer kennt nicht die „@M muss dir einen Döner bezahlen“-Beiträge, die nur darauf abzielen schnell möglichst viel Interaktion in Form von Kommentaren und der Verlinkung von Nutzern einzusammeln?

Und ich verstehe, warum sogar eigentlich sonst seriöse Seiten/Marken bei sowas mitmachen. Das ist die einzige Form, abseits davon viel Geld für beworbene Beiträge auszugeben, um Reichweite mit seinen Posts zu erzielen und ggf. auch neue Nutzer zu erreichen.

Das Dilemma ist: Wenn das jeder macht, dann gehen die „echten“, vernünftigen Beiträge unter. Ich habe mir deshalb angewöhnt, alle Seiten zu blockieren, die mir in meinem Newsfeed ausgespielt werden und entweder nur auf diese Art von Inhalten setzen oder die „lustigen“ Videos und Bilder wiederverwerten, die eh schon jeder zigfach gesehen hat. Das ist eine Liste, die mittlerweile auf über 500 Einträge angewachsen ist.

Die Hoffnung dahinter war, dass ich dann endlich wieder sehe, was meine Freunde denn wirklich so posten. Dafür war/ist Facebook ja da. Aber interessanterweise führt es dazu, dass Facebook mir statt meines Newsfeeds jetzt manchmal anzeigt, ich solle doch erstmal ein paar Freunde hinzufügen, damit man mir anzeigen könne, was die so treiben.

Im Umkehrschluss bedeutet das zwei Sachen:

Allein das für sich genommen ist schon schlimm genug. Aber betrachten wir das auch mal noch von der anderen Seite.

3.2 Aus Sicht eines Seitenbetreibers

Seitenbetreiber verzweifeln daran, dass ihre Beiträge immer weniger Reichweite erhalten und die Entwicklung ihrer Seiten stagniert. Ich habe das selbst getestet, hatte dafür eine Seite angelegt die automatisch jeden Tag 3 Katzenbilder postet und einmalig 5 oder 10 Euro in die Bewerbung dieser Seite investiert.

Es zeigte sich, dass die Anzahl der Fans bei ziemlich genau 700 Likes stagnierte, als Reichweite habe ich immer zwischen 170 und 240 Personen erzielt, meist gab es zwischen 10 und 30 Interaktionen.

Daraus lassen sich wieder einige Schlüsse ziehen:

Nun muss das nicht die universelle Wahrheit sein und sicher war das auch nicht der objektiveste und beste Test, aber wenn ich eine Seite neu aufbauen wollte, würden mich diese Zahlen doch abschrecken und die finden sich so immer und immer wieder in Erfahrungsberichten.

Zum Beispiel auch, wie oben beschrieben und verlinkt, beim ORF. Und wenn die es nicht hinbekommen... wer soll es dann schaffen?

Die einzige Option diese Kennzahlen zu verbessern, und darauf weist Facebook gerne und oft hin, wäre es, die Beiträge zu bewerben: „Mit nur 10 Euro können Sie 2700 weitere Menschen mit diesem Post erreichen“ oder sowas ähnliches heißt es dann immer.

Aber wieviele Likes erhalte ich dadurch? Habe ich dadurch eine langfristige positive Entwicklung meiner Reichweite? Keiner kann das so genau sagen, es ist ein wenig wie ein Glücksspiel und man muss davon ausgehen, dass die Bank (Facebook) betrügt, damit man auch beim nächsten Mal wieder einen Beitrag bewirbt.

Wer unter diesen Rahmenbedingungen eine Marke entwickeln und etablieren möchte, und dabei auch auf Facebook setzt, der hat schwierige (oder eher teure) Zeiten vor sich. Der ganze Prozess ist einfach nicht planbar und damit extrem riskikoreich.

Zusammenfassung

Alles in allem kann man wohl sagen, dass es nicht gut aussieht: Die Außenwirkung am Boden, stagnierende Nutzerzahlen in Kernmärkten, fragwürdiger Umgang mit Datenschutz, persönlichen Daten im Allgemeinen und der Kritik am eigenen Geschäftsmodell im Besonderen.

Sozial und „freundschaftlich“ ist an Facebook schon lange nichts mehr und als Seitenbetreiber muss ich Geld ohne Ende investieren und habe doch keine Garantie für Erfolg und Reichweite auf der Plattform. Zudem muss ich mich dann mit den fragwürdigen Lösch- und Zensurpraktiken von Facebook herumschlagen und bin deren Gutdünken ausgeliefert, ganz gleich ob das Recht auf meiner Seite ist oder nicht.

Ausblick

Was also tun als Privatperson? Facebook-Account löschen? Warum eigentlich nicht?

Zumindest in meinem Umfeld ist die Nutzung von Facebook quasi komplett eingebrochen, es sind vielleicht noch ein Dutzend Leute aus meinem Umfeld dort wirklich aktiv. Der Rest ist weitergezogen zu Instagram oder ist nicht einmal dort angekommen und hat entdeckt, dass es Wichtigeres gibt als Likes und Shares. Das hoffe ich zumindest.

Für das vorgenannte Dutzend logge ich mich noch einmal die Woche ein, schaue was sie so getrieben haben, dann logge ich mich wieder aus und vermisse Facebook die Woche über auch nicht mehr. Der Reiz ist schlicht verloren gegangen.

So habe ich mittlerweile auch alle meine Beiträge dort gelöscht und behalte meinen Account nur noch, um die Integrationen mit Services wie IFTTT aufrecht zu erhalten, die automatisiert Blobeiträge auf Facebook veröffentlichen. Müsste ich das nicht am Leben halten, gäbe es einen vernünftigen anderen Weg dafür, ich hätte meinen Account schon gelöscht.

Am Ende ist das natürlich eine individuelle Frage. Wer neutral für sich sagen kann, dass er einen Nutzen aus Facebook zieht, weil er dort gut Kontakt zu seinen Bekannten halten kann oder was auch immer, der soll seinen Account natürlich behalten. Aber wer sich nach dem Einloggen auch immer eher genervt oder gestresst fühlt, der wird seinen Account vielleicht auch nicht vermissen, wenn er ihn löscht.

Und als Unternehmen?

Klar, Facebook ist nach wie vor ein wichtiges soziales Netzwerk und man sollte diesen Kanal bespielen und dort vor allem auf Nutzerfeedback reagieren.

Aber beim Wettrüsten um Reichweite eine Menge Geld in den Rachen des Monsters werfen? Das würde ich mir gut überlegen. Der Erfolg wäre mir zu wenig planbar und die Willkür von Facebook ist mittlerweile berüchtigt.

Andere soziale Netzwerke könnten, abhängig von der Ziel- oder Nutzergruppe eine interessantere Möglichkeit sein auf sich und seine Produkte und Anliegen aufmerksam zu machen.


Über mich

Ich bin gelernter Mediengestalter, studierter Druck- und Medientechniker und leidenschaftlicher Tüftler und Bastler.

Beruflich beschäftige ich mich mit der digitalen Transformation von Unternehmen, sowie der Automatisierung von Unternehmensprozessen, in der Druck- und Medienbranche. Mehr dazu findet sich im Lebenslauf.

Privat interessieren mich Kaffee(maschinen), Themen rund um Webentwicklung, das Internet im Allgemeinen und Speziellen und vieles, vieles mehr.

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